Tragkonstruktion des Halberstädter Doms
Strebensystem der Nordwand
Geht man in Halberstadt an der Liebfrauenkirche(Abb. 1) vorbei, so sieht man eine Kirche gebaut im romanischen Stil: massive Wände, kleine Fenster und dementsprechend blockartige relativ niedrige Innenräume. Ungefähr 100m weiter blickt man auf den Halberstädter Dom St. Stephanus(Abb. 2). Eine gotische Kathedrale, im Vergleich zur romanischen Kirche von zarter Architektur und Licht durchfluteten hohen Innenräumen. Diese Zwei Bauten sind sowohl in ihrem Stil als auch in der Architektur unterschiedlich. Besonders beim Halberstädter Dom haben mich die Strebepfeiler an der Nordwand interessiert und über diese kleine Tragkonstruktion möchte ich mich in dieser Arbeit äußern.
Dabei habe ich mir folgende Fragen gestellt:
- Wie werden die Kräfte in den Gewölben übertragen und wo werden sie aufgenommen?
- Im Vergleich zum romanischen Stil wurde beim gotischen viel weniger Material verwendet. Inwiefern ist das Kreuzrippengewölbe dafür zuständig?
- Wie ist es möglich, dass man so hohe Wände errichten und man dabei noch riesige Fenster einbauen kann, so dass diese Konstruktion Jahrhunderte überdauert?
Nun, wenn man mehr Licht in eine romanische Kirche bringen möchte, so muss man Fenster einbauen und dazu eine gewisse Breite in einer Wand freilassen. Je größer diese Breite wird, desto schwieriger wird es sein den Sturz zu gestalten bzw. ab einer gewissen Breite wird es unmöglich im romanischen Stil weiterzubauen. Die Lösung dafür bestand darin die Wände aufzulösen und die Kräfte nach außen hin zu leiten. Dafür dienten am besten Gewölbe. Bei meiner Betrachtung werde ich mich auf die Tragkonstruktion des Hauptschiffes und auf eines der Seitenschiffe des Halberstädter Domes (beides im Schnitt durch den Neubau von N ‑ S) konzentrieren und die Anbauten und den Kreuzganz nicht mitberücksichtigen. Die ganze Betrachtung gilt analog für die andere Seite des Tragwerks.
Im Neubau des Halberstädter Doms wurden Kreuzrippengewölbe eingesetzt. Diese Gewölbeart hat die Eigenschaft dass sie die Kräfte nach außen leitet und somit mehrere Gewölbe nebeneinander in Reihe gebaut werden können; außerdem wird der Druck auf wenige Punkte verteilt. Beim letzten Gewölbe muss man, aufgrund dem nach außen hin fehlendem Gegengewicht, eine dickere Mauerstärke wählen um die Horizontalkomponente der wirkenden Kraft aufzunehmen. Die Stützen des Doms stehen längs aufgereiht etwa 5m Entfernung auseinander und das Kreuzgewölbe spannt das 26,50m hohe Hauptschiff auf 12m Breite. Dabei besitzen die Pfeiler einen sternförmigen Grundriss und eine Breite von 2,5m. Die angrenzenden Seitenschiffe sind nach dem gleichen Prinzip aufgebaut, haben jedoch eine niedrigere Gewölbehöhe von 13,80m. Man könnte die Außenwände jetzt so dick gestalten, dass sie den Druckkräften und Horizontallasten der Gewölben standhalten könnten. Jedoch hat man mit Hilfe des Kreuzrippengewölbes nicht nur an Material gespart sondern auch mehr Licht mit in die Kirche gebracht. Damit ist aber das Gebäude noch nicht stabil und jetzt kommen die Strebepfeiler ins Spiel. Diese fast bis zur Dachhöhe reichenden Pfeiler, die nach unten hin breiter gebaut werden müssen stützen das System und geben ihm den endgültigen halt. Doch wie funktioniert das ganze? Auf die Schiffwand wirkt jetzt ein Horizontalschub der durch die von schräg oben angreifenden Kräften der Gewölberippen entsteht. Diesem Horizontalschub wirken von außen Strebebögen entgegen. Diese leiten die Kräfte zu den Strebepfeiler weiter. Die entstandenen Schrägkräfte werden durch die Vertikalkräfte des Dachstuhls, dem Eigengewicht der Strebepfeiler und der durch zusätzlich aufgesetzten Fialen kompensiert. Damit ist das Gewölbe sicher gestützt.
Man beachte, je höher man das Gewölbe platziert, desto höher werden die Momente sein, die aufgenommen werden müssen. Beim Seitenschiff z.B. ermöglicht die niedrigere Gewölbehöhe die Aufnahme der Gewölbelasten durch das Stützensystem. Dabei ist Außen die Standsicherheit durch die unten dickeren Strebepfeilern gewährleistet und im Inneren durch von oben drückendes Gewicht der höheren Stützen und des Dachstuhls.
In Abbildung 3 habe ich versucht an einem Schnitt durch die Nordwand des Doms die wirkenden Druckkräfte aufzuzeigen und ebenso die daraus resultierenden Kräften. Würde man versuchen die Kathedrale ohne Strebepfeiler zu bauen würde sie an der Seite einstürzen. Abbildung 4 zeigt die Auswirkung ohne Strebepfeiler. Die dünne Wand bzw. die dünnen Stützen würden einbrechen; der Horizontalanteil der resultierenden Kraft ist in diesem Fall zu hoch.
Abb. 3 Schnitt durch die Nordseite des Langhauses Abb. 4 Resultierende Kraft ohne Strebensystem
Abb. 5 Nordseite
Mit Hilfe der Nutzung eines Kreuzrippengewölbes und der Strebepfeiler wurde ein Filigranes aussehen möglich das mit ausreichend großen Fenstern geschmückt wurde und man dabei noch an Material und Bauzeit gespart hat.